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Systemrelevanz des Journalismus und seine fünf Defizite

In einem Gastbeitrag diskutieren Klaus Meier und Vinzenz Wyss u.a. die Systemrelevanz des Journalismus. Implizit wird dabei auch das Argument aufgegriffen, das hier schon verwendet wurde: journalistische Beiträge sind eben nicht nur pure Reflektion einer Wirklichkeit, sondern beinflussen diese auch.

Darüber hinaus listen sie in fünf Punkten Defizite auf, die sich in der aktuellen Berichterstattung zur Corona-Pandemie erkennen ließen:

  1. Mangelhafter Umgang mit Zahlen: Zahlengläubigkeit, falsche Interpretation
  2. Konzentration auf Einzelfälle statt Strukturen
  3. Intransparenz bezüglich der Informationsgrundlage von Meldungen
  4. Thematisch und meinungsmäßig verengte Berichterstattung
  5. Erschaffung von (in diesem Fall) Virologen als Medienstars

Kurz gefasst: Journalisten bräuchten eigentlich eine Ausbildung in Wissenschaftstheorie und -methodik.

Rückkopplung zwischen Aufmerksamkeit und Mobilisierung

In seinem Buch „Zumutungen“ (Kursbuch Edition, 2020) beschreibt Peter Strohschneider eine einfache, selbstverstärkende Rückkopplungsschleife (S. 74): je größer die mediale Aufmerksamkeit für einen Politiker, desto stärker die Mobilisierung seiner Anhänger, woraus wieder mehr mediale Aufmerksamkeit folgt. Strohschneider zitiert auch Philip Manow (2020), der von „Polarisierung […] als Geschäftsmodell“ (S. 100) gesprochen hat, wohl auch, weil dieser Feedback für sich gesehen, zu immer stärkerem Wachstum der beiden Phänomene führt. Dieses Wachstum geht wohl mit stärkerer Extreme und Polarisierung einher. Hier das sehr einfache Kausalitätendiagramm:

Rückkopplung zwischen Aufmerksamkeit und Mobilisierung

Die Gefahren der (notwendiger Weise subjektiven) Wahrnehmung

In „The Perils of Perception“ (2018, Atlantic Books) berichtet Bobby Duffy über eine Vielzahl von Umfragen, die die Diskrepanz zwischen eigener Wahrnehmung und tatsächlichem Sachverhalt darstellen; zum Teil nach Herkunftsländern der Umfrageteilnehmer klassifiziert. Die Ergebnisse der Umfragen kann man teilweise auch unter www.ispos.com einsehen bzw. sich auch selbst an der aktuellen Umfrage beteiligen.

Auf S. 13 schreibt Duffy: „For example, say that people overestimate the level of crime in their country. Do they overestimate it because they are concerned about it, or are they concerned about it because they overestimate it? There are good reasons to think it’s a bit of both, creating a feedback loop of misperception that is very difficult to break.“ Hier ist das passende Kausalitätendiagramm:

Vergleiche hierzu auch einen früheren Blog-Eintrag: Medien erschaffen Realität.

„Elterntaxis“ als selbstverstärkendes System

In dem Artikel von mimikama (https://www.mimikama.at/allgemein/elterntaxis/) werden „Elterntaxis“, mit der Schulkinder von ihren Eltern mit Autos zur Schule gebracht werden, als „kaskadierendes System“ bezeichnet. Man könnte auch selbstverstärkende Rückkopplung dazu sagen, die in etwa so aussieht:

Es ist leider nur ein schwacher Trost, dass wir als Systemdenker wissen, dass alle selbstverstärkenden Systeme irgendwann an Grenzen stoßen, siehe Limits-to-Growth.

Schwellenwerte und Klimakrise

Yuval Noah Harari beschreibt in seinem Bestseller 21 Lessons for the 21st Century (2018, S. 117) die „klassische“ Befürchtung, die mit der Klimakrise einhergeht: eine zunächst geringfügige Erwärmung der durchschnittlichen Temperatur durch menschengemachte Treibhausgase führt dazu, dass eine selbstverstärkende Rückkopplung in Gang kommt, die letztlich zu einer sehr starken Erhöhung der Durchschnittstemperatur führt–mit völlig unbekannten Folgen für das Leben auf der Erde. Ausgelöst könnten diese Teufelskreise werden, indem die Polarkappen abschmelzen oder Methan aus den auftauenden Permafrostböden entweicht.

Nachtrag: Harald Lesch greift ab etwa Minute 29 das Thema in seiner Rede auch auf (und ist natürlich auch darüber hinaus sehenswert) und schildert noch einen zusätzlichen Sachverhalt…

Immer mehr Schiffe, immer weniger Fang…

Forscher haben jetzt empirisch untersucht, wie es um den internationalen Fischfang steht (Rousseau, Watson, Blanchard, and Fulton: Evolution of global marine fishing fleets and the response of fished resources, veröffentlicht in PNAS 2019). Das Ergebnis liest sich wie eine Zusammenfassung des Effekts, der sich beim Fishbanks Game immer wieder einstellt: „Alongside an expansion of the fleets, the effective catch per unit of effort (CPUE) has consistently decreased since 1950, showing the increasing pressure of fisheries on ocean resources.“

Ganz allgemein wird dieser Effekt als die Tragik der Allmende (oder Englisch: Tragedy of the Commons) bezeichnet. Jeder Akteur hat für sich gesehen rationale Anreize das Allgemeingut (hier: die Fische) möglichst gründlich auszubeuten. Was langfristig aber zu einem Zusammenbruch der Resource führt, womit dann auch alle schlechter dastehen.

Senge (The Fifth Discipline, 1990) nennt die Tragik der Allmende einen „notorischen“ Systemarchetypen, der immer wieder dynamischen zu Problemen führt. Als Lösungsmöglichkeit führt er gemeinsam beschlossenen und transparenten Zugriff auf die Ressource an; dieser Zugriff muss allerdings deren Endlichkeit und Regerenationsmöglichkeit berücksichtigen und Fehlverhalten muss sanktioniert werden. Hier seine Abbildung (S. 387f.):


Emotional innumeracy

In „The Perils of Perception“ (Atlanctic Books, 2018) erwähnt Booby Duffy auf S. 13 die emotional innumeracy, d.h. die gefühlsbedingte Unfähigkeit zu rechnen, die u.a. darauf begründet sei, dass Ursache und Wirkung zwischen zwei Phänomenen in beide Richtungen verliefen. Dies ist eine (selbstverstärkende) Rückkopplungsschleife der Fehlwahrnehmung, die schwierig zu durchbrechen sei.

Duffy beschreibt dann noch ein kurzes Beispiel für diese Rechenunfähigkeit: Wenn Leute das Kriminalitätslevel in ihrem Land überschätzen, kommt das daher, dass sie besorgt sind, oder sind sie besorgt, weil sie es überschätzen? Als Kausalitätendiagramm in etwa so:


Medien erschaffen Realität

Heribert Prantl schreibt in seiner „Gebrauchsanweisung für Populisten“ (Ecowin, 2017) auf S. 35: „Die Qualitätsmedien sollten nicht so tun, als seien die Angriffe auf Minderheiten Events, über die es wie über Sportereignisse und Popkonzerte zu berichten gilt.“ Er bezieht sich damit auf eine weitverbreitete uni-direktionale Auffassung davon, was Medien zu leisten hätten. Das folgende Kausaldiagramm drückt diese aus; je wichtiger der Sachverhalt, desto umfassender die Berichterstattung.

Was dabei ausgeblendet wird (und in Prantls Zitat aufscheint) ist, dass Berichterstattung in den Medien wieder auf die Wichtigkeit (die sich nie vollständig objektiv definieren lässt, sondern immer „Gefühlte Wichtigkeit“ ist) zurückwirkt. Es entsteht also eine selbstverstärkende Rückkopplungsschleife:

Natürlich setzen auch auch hierbei irgendwann begrenzende Prozesse ein (sonst würde sich die Hysterie über ein Ereignis ja ins Unendliche steigern), vielleicht auch nur dadurch, dass die mediale Aufmerksamkeit sich auf ein anderes Ereignis verschiebt.

 

Verschörungstheorien und Minderheiten

In dem unterhaltsamen Buch „Angela Merkel ist Hitlers Tochter“ (Hanser, 2018) beschäftigen sich Christian Alt und Christian Schiffer mit Gründen, Merkmalen und Konsequenzen von Verschwörungstheorien, insbesondere mit Bezug zu sozialen Medien (nebenbei: die Autoren sagen auch klar, dass „Verschwörungsmythos“ eigentlich das bessere Wort sei, da die Konstrukte mit wissenschaftlichen Theorien natürlich nicht viel gemein haben).

Auf S. 191 erläutern Alt und Schiffer sehr knapp, das Verhältnis von Verschwörungstheorien und Minderheiten. Mit ein wenig Eigeninterpretation verstehe ich ihre Ausführungen als selbstverstärkende Rückkopplungsschleife:

Beispielsweise ausgehend von der Anzahl und Stärke von Verschwörungstheorien über eine Minderheit erhöht sich auch die wahrgenommene Minderwertigkeit dieser Minderheit (dabei wahrgenommen von ihr selbst und/oder von der Mehrheit). Dies wiederum führt dazu, dass Verschwörungstheorien (die gleichen wie von der Mehrheit oder andere) auch innerhalb der Minderheit weiter Akzeptanz finden und damit die Andersartigkeit der Minderheit betont wird, was schließlich zu einem weiteren Ansteigen der Stärke und Anzahl an Verschwörungstheorien über die Minderheit führt.