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Schwellenwerte und Klimakrise

Yuval Noah Harari beschreibt in seinem Bestseller 21 Lessons for the 21st Century (2018, S. 117) die „klassische“ Befürchtung, die mit der Klimakrise einhergeht: eine zunächst geringfügige Erwärmung der durchschnittlichen Temperatur durch menschengemachte Treibhausgase führt dazu, dass eine selbstverstärkende Rückkopplung in Gang kommt, die letztlich zu einer sehr starken Erhöhung der Durchschnittstemperatur führt–mit völlig unbekannten Folgen für das Leben auf der Erde. Ausgelöst könnten diese Teufelskreise werden, indem die Polarkappen abschmelzen oder Methan aus den auftauenden Permafrostböden entweicht.

Nachtrag: Harald Lesch greift ab etwa Minute 29 das Thema in seiner Rede auch auf (und ist natürlich auch darüber hinaus sehenswert) und schildert noch einen zusätzlichen Sachverhalt…

Emotional innumeracy

In „The Perils of Perception“ (Atlanctic Books, 2018) erwähnt Booby Duffy auf S. 13 die emotional innumeracy, d.h. die gefühlsbedingte Unfähigkeit zu rechnen, die u.a. darauf begründet sei, dass Ursache und Wirkung zwischen zwei Phänomenen in beide Richtungen verliefen. Dies ist eine (selbstverstärkende) Rückkopplungsschleife der Fehlwahrnehmung, die schwierig zu durchbrechen sei.

Duffy beschreibt dann noch ein kurzes Beispiel für diese Rechenunfähigkeit: Wenn Leute das Kriminalitätslevel in ihrem Land überschätzen, kommt das daher, dass sie besorgt sind, oder sind sie besorgt, weil sie es überschätzen? Als Kausalitätendiagramm in etwa so:


Medien erschaffen Realität

Heribert Prantl schreibt in seiner „Gebrauchsanweisung für Populisten“ (Ecowin, 2017) auf S. 35: „Die Qualitätsmedien sollten nicht so tun, als seien die Angriffe auf Minderheiten Events, über die es wie über Sportereignisse und Popkonzerte zu berichten gilt.“ Er bezieht sich damit auf eine weitverbreitete uni-direktionale Auffassung davon, was Medien zu leisten hätten. Das folgende Kausaldiagramm drückt diese aus; je wichtiger der Sachverhalt, desto umfassender die Berichterstattung.

Was dabei ausgeblendet wird (und in Prantls Zitat aufscheint) ist, dass Berichterstattung in den Medien wieder auf die Wichtigkeit (die sich nie vollständig objektiv definieren lässt, sondern immer „Gefühlte Wichtigkeit“ ist) zurückwirkt. Es entsteht also eine selbstverstärkende Rückkopplungsschleife:

Natürlich setzen auch auch hierbei irgendwann begrenzende Prozesse ein (sonst würde sich die Hysterie über ein Ereignis ja ins Unendliche steigern), vielleicht auch nur dadurch, dass die mediale Aufmerksamkeit sich auf ein anderes Ereignis verschiebt.

 

Verschörungstheorien und Minderheiten

In dem unterhaltsamen Buch „Angela Merkel ist Hitlers Tochter“ (Hanser, 2018) beschäftigen sich Christian Alt und Christian Schiffer mit Gründen, Merkmalen und Konsequenzen von Verschwörungstheorien, insbesondere mit Bezug zu sozialen Medien (nebenbei: die Autoren sagen auch klar, dass „Verschwörungsmythos“ eigentlich das bessere Wort sei, da die Konstrukte mit wissenschaftlichen Theorien natürlich nicht viel gemein haben).

Auf S. 191 erläutern Alt und Schiffer sehr knapp, das Verhältnis von Verschwörungstheorien und Minderheiten. Mit ein wenig Eigeninterpretation verstehe ich ihre Ausführungen als selbstverstärkende Rückkopplungsschleife:

Beispielsweise ausgehend von der Anzahl und Stärke von Verschwörungstheorien über eine Minderheit erhöht sich auch die wahrgenommene Minderwertigkeit dieser Minderheit (dabei wahrgenommen von ihr selbst und/oder von der Mehrheit). Dies wiederum führt dazu, dass Verschwörungstheorien (die gleichen wie von der Mehrheit oder andere) auch innerhalb der Minderheit weiter Akzeptanz finden und damit die Andersartigkeit der Minderheit betont wird, was schließlich zu einem weiteren Ansteigen der Stärke und Anzahl an Verschwörungstheorien über die Minderheit führt.

Krankenkassen: Todesspirale Verringerung der Zusatzbeiträge

Basierend auf einem Plan von Gesundheitsminister Spahn, Krankenkassen mit hohem Finanzreserven zu zwingen, diese abzubauen, indem sie ihre Zusatzbeiträge verringern, spricht der Gesundheitsökonom Georg Wasem von einer Todesspirale für „schwache“ Krankenkassen, die dadurch ausgelöst werden könne (Spiegel Online vom 30.04.2018). Die Bürger würden nämlich vermehrt zu den Krankenkassen wechseln, die niedrige Zusatzbeiträge anbieten und die Not der schwachen Kassen dadurch verstärken.

Das Kausalitätendiagramm der Situation sieht so aus:

Zunächst ist anzumerken, dass der Mechanismus pro Krankenkassen wirksam wird, d.h. wir könnten auch ein separates Diagramm für jede Kasse erstellen. Vom Minister intendiert ist die Wirkung des balancierenden (negativen) Feedbackloops bei finanzstarken Kassen: durch die Verringerung der Zusatzbeiträge werden deren Finanzreserven vermindert. Auf finanzschwache Kassen soll kein Druck ausgeübt werden.

Indirekt entsteht ein solcher aber doch: wenn sich Krankenkassenkunden aufgrund der (geringen) Höhe des Zusatzbeitrags entscheiden zu einer starken Kasse zu wechseln, schwächen sie ihre ehemalige Krankenkasse zusätzlich; deren Finanzreserven werden noch weiter geschwächt.

Der selbstverstärkende Loop verhält sich also bei starken Kassen als virtuous cycle und stärkt diese noch zusätzlich. Bei schwachen Kassen entsteht aber ein vicious cycle (auch Teufelskreis oder eben „Todesspirale“ genannt): die Lage wird kontinuierlich schlechter. Ein (vermutlich) nicht-intendierter Nebeneffekt der politischen Entscheidung.

 

Dead Aid

In ihrem Buch Dead Aid (2010, Penguin) beschreibt Dambisa Moyo auf Seite 41 den „vicious cycle of aid“. Ihre Kernaussage ist, dass basierend auf Entwicklungshilfe Korruption weitere Korruption gebiert und eine Abhängigkeit von weiterer Entwicklungshilfe entsteht (mehr zum vicious cycle auf S. 62).

Eine graphische Darstellung dieser selbstverstärkenden Rückkopplungsschleife zeigt das in dem kurzen Absatz im Buch eine große Zahl an Abhängigkeiten erwähnt werden:

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Wenn man einige Details herausnimmt, ergibt sich ein klareres Bild. Es wird auch deutlich, dass eine selbstverstärkende Rückkopplung eine negative oder auch positive Entwicklung nehmen kann (und dann zum „virtuous cycle“ wird): weniger Korruption, mehr Investitionen, mehr wirtschaftliche Entwicklung, weniger Armut, weniger Entwicklungshilfe, weniger Korruption und so weiter…

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