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Reine Technologielösung nicht ausreichend

Der technische Fortschritt alleine wird die Klimakrise nicht lösen, wie Versuche mit dem Klimasimulations-Tool En-ROADS zeigen. Darüber hinaus steht natürlich auch nicht fest, ob die angenommenen (positiv wirkenden) technologischen Entwicklungen überhaupt eintreten. Nur in Kombination mit regulatorischen und verhaltensbasierten Änderungen lässt sich das Zwei-Grad-Ziel des Paris-Abkommens voraussichtlich erreichen.

En-ROADS ist ein auf einem System-Dynamics-Modell basierendes Simulationsprogramm, welches in jedem Internet-Browser läuft. Es ist anhand der wesentlich detaillierteren Klimamodelle kalibriert und nähert deren Ergebnisse gut an. Mit En-ROADS lassen sich Auswirkungen verschiedener Maßnahmen und Entwicklungen auf die globale Durchschnittstemperatur ausprobieren. Im vorliegenden Fall (Link zum Szenario) habe ich getestet, wie sich starke positive Fortschritte im Bereich Technologie auf die Zielerreichung auswirken, nämlich zum Ende des Jahrhunderts die durchschnittliche globale Erwärmung auf unter 2 Grad Celsius zu begrenzen, wie es das Pariser Abkommen vorsieht.

Szenario nur Technologiefortschritt

Konkret wurden im hier getesteten Szenario nur solche Maßnahmen gegenüber den Standardwerten verändert, die überwiegend technischen Fortschritt widerspiegeln und keine (oder nur geringe) Änderungen regulatorischer, z.B. Steuern/Subventionen, oder verhaltensbasierter Art, z.B. Fleischkonsum, mit sich bringen. Um die Wirksamkeit dieser Maßnahmen eher zu überschätzen, wurden sie dabei alle mit maximalem positivem Effekt berücksichtigt. Aber auch in diesem Fall steigt die globale Durchschnittstemperatur um 2,4 Grad Celsius an. Diese Steigerung ist aber natürlich trotzdem geringer, als wenn keine solcher Maßnahmen wirksam würden, wobei sich in der Simulation dann eine Temperatursteigerung um 3,3 Grad Celsius ergibt.

Durch die stark gestiegene Energie-Effizienz im Transport, bei Gebäuden und in der Industrie nimmt die Nachfrage nach Energie insgesamt ab, was sich positiv auf die zu erwartende Temperatursteigerung auswirkt. Ebenso vermindert ein starker Einsatz von technischer Kohlendioxid-Entnahme aus der Atmosphäre die zu erwartende Erhöhung der Temperatur um 0,3 Grad Celsius. Wie man an der Verteilung der primären Energieerzeugung nach unterschiedlichen Quellen sieht, sind aber insbesondere der vermehrte Einsatz von Kernenergie und die, sehr hypothetische, Nutzung einer weiteren Null-Emissions-Energiequelle (z.B. Kernfusion) weniger wirksam. Dies liegt an den einerseits langen Aufbauzeiten entsprechender Kapazitäten und andererseits an den Kostenvorteilen der bisherigen fossilen, aber auch erneuerbarer Energiequellen.

Bei Kostenvergleichen: Dynamik berücksichtigen!

In einer bspw. auf LinkedIn weit verbreiteten Anzeige kommuniziert die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM), dass es 13 mal sinnvoller (weil kostengünstiger) sei, Co2-Zertifikate zu kaufen, anstelle das Geld in Wärmepumpen für die Gebäudeheizung zu stecken. Das hört sich natürlich im ersten Moment sehr überzeugend an (ich gehe davon aus, dass die angegebenen Daten stimmen und habe sie nicht überprüft). Die Aussage wurde aber bereits aus verschiedener Sicht kritisiert, z.B. weil dadurch die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern (und insbesondere deren Lieferanten) nicht verringert wird. Hier will ich mich daher darauf beschränken, dass diese plumpe (weil statische) Gegenüberstellung keinerlei dynamische Perspektive einnimmt. Insbesondere werden nicht berücksichtigt:

  1. Änderung der Kosten (und damit des Verhältnisses der Kosten) über die Zeit: einerseits wird der Preis für CO2-Zertifikate steigen (genau so ist das Instrument ja gedacht und regulatorisch ausgestaltet), andererseits wird der Preis für Wärmepumpen durch Erfahrungskurveneffekte sehr wahrscheinlich mit ihrer Verbreitung fallen, wie es beispielsweise bei Photovoltaik festzustellen ist.
  2. Laufende und zusätzliche Kosten: dynamische Investitionsrechnungen in der Betriebswirtschaftslehre berücksichtigen generell Zahlungsströme über die Zeit, d.h. inklusive laufender Kosten bspw. für den Strom der Wärmepumpen. Zunächst sieht es dann so aus, als ob das Verhältnis noch stärker zugunsten des Zertifikatskaufes spräche. Allerdings bemerkt man schnell, dass ein dann auftretender Kostenfaktor überhaupt nicht erwähnt wird: auch für die konventionellen Heizung fallen natürlich Brennstoffkosten an. Dass diese in Zukunft ansteigen können und werden, ist fast schon eine Trivialität.
  3. Marktdynamiken auf dem Zertifikatemarkt: CO2-Zertifikate führen nur dann zu einer tatsächlichen Verminderung der Kohlendioxid-Emissionen, wenn die Verschmutzungsrechte eben nicht genutzt werden. Man müsste also einen Weiterverkauf verbieten, um tatsächliche Umwelteffekte zu erzielen.
  4. Langfristige Konsequenzen bei immer weniger Zertifikaten („Endgame“): was passiert, wenn die Anzahl CO2-Zertifikate immer geringer wird und dadurch keine weiteren Umwelteffekte mehr zu erzielen sind? Dann kommt es weiterhin zu den negativen Auswirkungen der konventionellen Heizungen, weil diese ja nicht getauscht wurden (von den dann evtl. auftretenden hohen Kosten für die Besitzer ganz zu schweigen, siehe 2.).

Mittels Simulation ließen sich natürlich konkretere, quantitative Szenarien dieser Effekte durchspielen. Behält man jedoch grundsätzlich die dynamischen Auswirkungen im Blick, zeigt sich auch so schon die (bewusst oder unbewusst) irreleitende Aussage der Anzeige.

Die Lösung der Koronakrise verlangt systemische Einsicht

Elizabeth Sawin schreibt in einem Kommentar auf USNews, dass COVID-19, Ungleichheit und Klimakrise zusammen betrachtet werden müssen (Why We Can’t Ignore the Link Between COVID-19, Climate Change and Inequity). Ursache und Wirkung der Corona-Krise sind in vielfältigen Rückkopplungsbeziehungen miteinander verwoben, beispielsweise:

Der Wunsch, als Reaktion auf die ökonomischen Folgen von Corona Umweltstandards zu senken oder auszusetzen, ist daher nicht nur von politischen Überlegungen getrieben, sondern führt langfristig auch nicht zu einem erfolgreichen Ergebnis. „Multisolving“ ist gefragt:

Obwohl es natürlich menschlich verständlich und für manche Weltanschauungen auch politisch opportun ist, die COVID-19-Pandemie als einen isolierten Sachverhalt zu betrachten, auf den man sich jetzt alleinig fokussieren sollte, handelt es sich doch um ein komplexes Problem. Solche Probleme haben keine isolierten Lösungen, sondern verlangen eine systemische Analyse und Lösungsansätze, die an verschiedenen Punkten ansetzen.

Krisenvergleich (aus dynamischer Perspektive)

Kann man die Corona-Pandemie (CP) und die Klimakrise (KK) vergleichen? In vielerlei Hinsicht wohl nicht, in dynamischer Perspektive aber schon (siehe auch diesen Artikel in Resilience). Bei beiden handelt es sich um globale Herausforderungen, die aber unterschiedliche Zeitkoeffizienten aufweisen (“COVID-19 is climate on warp speed”, Gernot Wagner zitiert auf Yale Environment 360). Für beide gibt es technische, verhaltensbasierte und systemische „Lösungen“, wobei das nicht ein völliges Ausbleiben von negativen Folgen meint (dafür ist es bei beiden zu spät), sondern ein wie auch immer tatsächliches oder empfundenes Im-Griff-haben.

  • Voraussichtliche Dauer: 2 Jahre (CP; nach dieser Zeit ist sehr wahrscheinlich ein Impfstoff gefunden bzw. Herdenimmunität erreicht) — 100 Jahre (KK; die globale Erwärmung ist schon im Gange und selbst bei sofortigen sehr starken Maßnahmen aufgrund langer Verzögerungen nicht aufzuhalten)
  • Bekannt seit: Dez. 2019 (CP; erste Berichte in Presse zu einer neuen Lungenkrankheit in China) — 1992 (KK; Klimarahmenkonvention der UN in Rio, aber eigentlich natürlich schon viel länger, insbesondere die physikalischen Grundlagen)
  • Schätzung Anzahl stark Betroffener: mehrere Tausende/Zehntausende/Hunderttausende (CP; je nach Effektivität der durchgeführten Maßnahmen) — Millionen bis Milliarden (KK; je nach Effektivität der durchgeführten Maßnahmen )
  • Insbesondere betroffene Bevölkerung: Ältere und Menschen mit einschlägigen Vorerkrankungen (CP) — Ärmere Nationen bzw. ärmere Bevölkerungsgruppen in reichen Nationen (KK)
  • Technische Lösungen: Schutzmasken, Impfstoff, Medikamente (CP; ggf. Nebenwirkungen) — Energieeffizienz, CO2-freie Energieerzeugung, Kohlenstofflagerung, Geoengineering (KK; insbesondere bei Letzterem mit unbekannten Nebenwirkungen)
  • Verhaltensbasierte Lösungen: Physische Distanzierung, Händewaschen, kein Händeschütteln, Vermeiden von Menschenansammlungen, Quarantäne (CP) — Konsumverzicht bzw. -veränderung, weniger Fernreisen, weniger Fleischverzehr, bewusste Energieeinsparung (KK)
  • Systemische Lösungen: Infrastruktur zur Kommunikation trotz physischer Distanz, Kapazitäten im Gesundheitswesen aufbauen insbesondere Beatmungsplätze, Heimarbeit ermöglichen (CP) — Umbau des Wirtschaftssystems, mehr Kooperation, mehr Regionalität, nachhaltiges Wirtschaften fördern, weniger Erwerbsarbeit (KK)

Schwellenwerte und Klimakrise

Yuval Noah Harari beschreibt in seinem Bestseller 21 Lessons for the 21st Century (2018, S. 117) die „klassische“ Befürchtung, die mit der Klimakrise einhergeht: eine zunächst geringfügige Erwärmung der durchschnittlichen Temperatur durch menschengemachte Treibhausgase führt dazu, dass eine selbstverstärkende Rückkopplung in Gang kommt, die letztlich zu einer sehr starken Erhöhung der Durchschnittstemperatur führt–mit völlig unbekannten Folgen für das Leben auf der Erde. Ausgelöst könnten diese Teufelskreise werden, indem die Polarkappen abschmelzen oder Methan aus den auftauenden Permafrostböden entweicht.

Nachtrag: Harald Lesch greift ab etwa Minute 29 das Thema in seiner Rede auch auf (und ist natürlich auch darüber hinaus sehenswert) und schildert noch einen zusätzlichen Sachverhalt…

Klimaanlagen und Erderwärmung

Zusammenfassung eines Videos heute (5.9.2018) auf der Facebook-Seite des Economist (ein zugehöriger Artikel findet sich unter diesem Link):

The more the Earth warms, the more people will need cooling. But the more air-conditioners there are, the warmer the world will become„.

Es handelt sich natürlich um eine einfache, selbstverstärkende Rückkopplung:

Fügt man dazwischenliegende Variablen (Mediatoren) in das Kausalitätendiagramm ein, so wird der Sachverhalt noch etwas klarer. Unter anderem wird dann auch deutlich, dass es sich eigentlich um zwei, teilweise zusammenlaufende Rückkopplungsschleifen handelt. Zwar sind beide selbstverstärkend, aber doch mit unterschiedlichem Zeithorizont und unterschiedlicher geographischer Relevanz: der Pfad über den Klimawandel ist langfristig und global wirksam, der Pfad über die Abwäre kurzfristig und lokal von Auswirkung.

Das systemische Denken bietet zwei grundsätzliche „Lösungsmöglichkeiten“ an:

  1. Durchschneiden der Loops: für den langfristig wirkenden rechten Ast des Diagramms etwa dadurch, dass die Energieerzeugung für Klimaanlagen auf nachhaltige Quellen (ohne CO2-Emission) umgestellt wird.
  2. Grenzen des Wachstums-Mechanismus: kein selbstverstärkender Loop wächst ewig weiter; Grenzen könnten beispielsweise durch die verfügbare Gesamtenergiemenge oder durch Ressourcenbeschränkungen der benötigen Materialien auftreten. Leider auch dadurch, dass die durch den Klimawandel ausgelösten Probleme so gewaltig werden, dass die Menschheit nicht mehr in der Lage ist, Klimaanlagen zu bauen.