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Rückkopplung zwischen Aufmerksamkeit und Mobilisierung

In seinem Buch „Zumutungen“ (Kursbuch Edition, 2020) beschreibt Peter Strohschneider eine einfache, selbstverstärkende Rückkopplungsschleife (S. 74): je größer die mediale Aufmerksamkeit für einen Politiker, desto stärker die Mobilisierung seiner Anhänger, woraus wieder mehr mediale Aufmerksamkeit folgt. Strohschneider zitiert auch Philip Manow (2020), der von „Polarisierung […] als Geschäftsmodell“ (S. 100) gesprochen hat, wohl auch, weil dieser Feedback für sich gesehen, zu immer stärkerem Wachstum der beiden Phänomene führt. Dieses Wachstum geht wohl mit stärkerer Extreme und Polarisierung einher. Hier das sehr einfache Kausalitätendiagramm:

Rückkopplung zwischen Aufmerksamkeit und Mobilisierung

„Elterntaxis“ als selbstverstärkendes System

In dem Artikel von mimikama (https://www.mimikama.at/allgemein/elterntaxis/) werden „Elterntaxis“, mit der Schulkinder von ihren Eltern mit Autos zur Schule gebracht werden, als „kaskadierendes System“ bezeichnet. Man könnte auch selbstverstärkende Rückkopplung dazu sagen, die in etwa so aussieht:

Es ist leider nur ein schwacher Trost, dass wir als Systemdenker wissen, dass alle selbstverstärkenden Systeme irgendwann an Grenzen stoßen, siehe Limits-to-Growth.

Schwellenwerte und Klimakrise

Yuval Noah Harari beschreibt in seinem Bestseller 21 Lessons for the 21st Century (2018, S. 117) die „klassische“ Befürchtung, die mit der Klimakrise einhergeht: eine zunächst geringfügige Erwärmung der durchschnittlichen Temperatur durch menschengemachte Treibhausgase führt dazu, dass eine selbstverstärkende Rückkopplung in Gang kommt, die letztlich zu einer sehr starken Erhöhung der Durchschnittstemperatur führt–mit völlig unbekannten Folgen für das Leben auf der Erde. Ausgelöst könnten diese Teufelskreise werden, indem die Polarkappen abschmelzen oder Methan aus den auftauenden Permafrostböden entweicht.

Nachtrag: Harald Lesch greift ab etwa Minute 29 das Thema in seiner Rede auch auf (und ist natürlich auch darüber hinaus sehenswert) und schildert noch einen zusätzlichen Sachverhalt…

Emotional innumeracy

In „The Perils of Perception“ (Atlanctic Books, 2018) erwähnt Booby Duffy auf S. 13 die emotional innumeracy, d.h. die gefühlsbedingte Unfähigkeit zu rechnen, die u.a. darauf begründet sei, dass Ursache und Wirkung zwischen zwei Phänomenen in beide Richtungen verliefen. Dies ist eine (selbstverstärkende) Rückkopplungsschleife der Fehlwahrnehmung, die schwierig zu durchbrechen sei.

Duffy beschreibt dann noch ein kurzes Beispiel für diese Rechenunfähigkeit: Wenn Leute das Kriminalitätslevel in ihrem Land überschätzen, kommt das daher, dass sie besorgt sind, oder sind sie besorgt, weil sie es überschätzen? Als Kausalitätendiagramm in etwa so:


Medien erschaffen Realität

Heribert Prantl schreibt in seiner „Gebrauchsanweisung für Populisten“ (Ecowin, 2017) auf S. 35: „Die Qualitätsmedien sollten nicht so tun, als seien die Angriffe auf Minderheiten Events, über die es wie über Sportereignisse und Popkonzerte zu berichten gilt.“ Er bezieht sich damit auf eine weitverbreitete uni-direktionale Auffassung davon, was Medien zu leisten hätten. Das folgende Kausaldiagramm drückt diese aus; je wichtiger der Sachverhalt, desto umfassender die Berichterstattung.

Was dabei ausgeblendet wird (und in Prantls Zitat aufscheint) ist, dass Berichterstattung in den Medien wieder auf die Wichtigkeit (die sich nie vollständig objektiv definieren lässt, sondern immer „Gefühlte Wichtigkeit“ ist) zurückwirkt. Es entsteht also eine selbstverstärkende Rückkopplungsschleife:

Natürlich setzen auch auch hierbei irgendwann begrenzende Prozesse ein (sonst würde sich die Hysterie über ein Ereignis ja ins Unendliche steigern), vielleicht auch nur dadurch, dass die mediale Aufmerksamkeit sich auf ein anderes Ereignis verschiebt.

 

Verschörungstheorien und Minderheiten

In dem unterhaltsamen Buch „Angela Merkel ist Hitlers Tochter“ (Hanser, 2018) beschäftigen sich Christian Alt und Christian Schiffer mit Gründen, Merkmalen und Konsequenzen von Verschwörungstheorien, insbesondere mit Bezug zu sozialen Medien (nebenbei: die Autoren sagen auch klar, dass „Verschwörungsmythos“ eigentlich das bessere Wort sei, da die Konstrukte mit wissenschaftlichen Theorien natürlich nicht viel gemein haben).

Auf S. 191 erläutern Alt und Schiffer sehr knapp, das Verhältnis von Verschwörungstheorien und Minderheiten. Mit ein wenig Eigeninterpretation verstehe ich ihre Ausführungen als selbstverstärkende Rückkopplungsschleife:

Beispielsweise ausgehend von der Anzahl und Stärke von Verschwörungstheorien über eine Minderheit erhöht sich auch die wahrgenommene Minderwertigkeit dieser Minderheit (dabei wahrgenommen von ihr selbst und/oder von der Mehrheit). Dies wiederum führt dazu, dass Verschwörungstheorien (die gleichen wie von der Mehrheit oder andere) auch innerhalb der Minderheit weiter Akzeptanz finden und damit die Andersartigkeit der Minderheit betont wird, was schließlich zu einem weiteren Ansteigen der Stärke und Anzahl an Verschwörungstheorien über die Minderheit führt.

Das Amazon Schwungrad…

Der ehemalige Amazon-Manager John Rossman beschreibt in seinem Buch „The Amazon Way on IT“ (Clyde Hill, 2016) das grundsätzliche Geschäftsmodell von Amazon als einen Schwungrad-Mechanismus („flywheel model“). Im Buch (S. 123) sieht die Abbildung in etwa so aus:

Natürlich handelt es sich um die Idee einer selbstverstärkenden Rückkopplungsschleife: Wachstum erlaubt Investitionen, die zu niedrigeren Preisen führen, die mehr Kunden und Verkäufer anziehen (auch aufgrund des großen Angebots), und wieder zu Wachstum führen. Rossman benutzt sogar die Begriffe „systems dynamics“ (S. 121) und „systems-dynamic“ (S. 123), um die dahinter stehende Denkweise zu beschreiben.

Allerdings folgt seine Abbildung nicht den bewähren Standards für Kausaldiagramme, weswegen ich hier eine „normgerechte“ Ausführung aufzeige:

Die selbstverstärkenden (positiven) Rückkopplungen kommen so besser zur Geltung. Außerdem habe ich einige weitere Variablen eingefügt, die die angenommenen Kausalverbindungen erklären können. „Wachstum“ ist jetzt keine Variable mehr, sondern ein sich durch die Struktur ergebendes mögliches Verhalten des Systems. Die Variablennamen sind neutral gehalten–was auch insofern sinnvoll ist, da Wachstum eben nicht das einzig mögliche Verhaltensmuster von selbstverstärkenden Rückkopplungen darstellt: das System könnte auch immer mehr schrumpfen (worüber Amazon aber lieber nicht nachdenken will) und wird sicher auch irgendwann an seine Grenzen stoßen.