Das DIW Econ hat die Wahlprogramme der großen Parteien für die Bundestagswahl 2021 daraufhin untersucht, inwiefern diese die Erreichung der Klimaziele ermöglichen (im Wesentlichen im Paris Agreement festgelegt). Die Aussagen in den Programmen zum Klimaschutz wurden dabei acht Kategorien (fünf Wirtschaftsbereiche und drei übergreifende Sachgebiete) zugeordnet und dann deren Wirksamkeit zur Erreichung der Ziele eingeschätzt. Ich habe bisher wenig methodische Kritik an dem Vorgehen gefunden, obwohl die Umsetzung verbaler Aussagen in Punktwerte natürlich nicht völlig unproblematisch ist. Aus den Ergebnissen der Studie (siehe Abbildung als Zusammenfassung) lassen sich einige Erkenntnisse und sich aufdrängende Fragen ableiten.
- Entgegen oft kolportierter Stammtischmeinung sind nicht alle Parteien gleich. Wenn einer Person bei der Wahl Klimaschutz wichtig ist, kann er/sie die Parteien danach priorisieren.
- Selbst die Partei mit dem größten absehbaren Zielerreichungsgrad (Bündnis 90/Die Grünen) verfasst ein Programm, das nicht mit den selbst-gesteckten Zielen in Einklang steht. Insofern besteht die Wahl dann doch nur darin, die beste aus allen sub-optimalen Lösungen zu wählen.
- Die Problematik, dass weitreichende Ziele formuliert werden, deren Erreichungspfad aber unkonkret bleibt, ist ein bekanntes Phänomen der Strategieliteratur. Rumelt (2011, 36) schreibt: “Bad strategy is long on goals and short on policy or action.” Das Setzen von Zielen ist also nur ein Teil einer Strategie; der zweite, ebenso notwendige Teil ist die Angabe möglichst konkreter Aktivitäten, wie die Ziele erreicht werden können (sonst bleiben die Ziele im besten Fall eine Vision).
- Werden Ziele gesetzt, die mit den vereinbarten Aktivitäten offensichtlich nicht erreicht werden können, besteht die Gefahr der „Eroding Goals“ (ein Systemarchetyp nach Senge, 1990): die Ziele werden dann einfach eben weniger herausfordernd formuliert und schon sind wir der Zielerreichung näher, ohne uns tatsächlich mehr anstrengen zu müssen.
- Was sagt es über uns als Gesellschaft aus, dass keine der Parteien vollständig wirksame Maßnahmen formulieren? Ist die Kluft zwischen Intention („wir sollten mehr für den Klimaschutz tun“) und Handeln („wir tun tatsächlich mehr für den Klimaschutz“) immer noch so ausgeprägt, dass sich mit angemessenen Vorschlägen keine Wahlen gewinnen lassen (Intentions-Verhaltens-Lücke)? Oder unterschätzen die Parteien hier den Realismus der Bevölkerung, die durchaus mit gut begründeten Maßnahmen zum Klimaschutz umgehen könnte?
- Liegt der Fokus bei allen Diskussionen zum Klimaschutz immer noch nur auf den vermeintlichen negativen Folgen, den damit verbundenen Kosten? Dann besteht weiterhin die Aufforderung, die Risiken von nicht ausreichenden Maßnahmen (höhere Kosten der Folgen der Klimakrise gegenüber Prävention, insbesondere die überproportionale Steigerung der Kosten, je später mit Maßnahmen begonnen wird) und den Mehrwert von Klimaschutz („multi-solving“: z.B. weniger Krankheit/Tote durch geringere Luftverschmutzung, weniger Platzverbrauch in Städten durch evtl. weniger Autos, geringere Abhängigkeit von zweifelhaften Regimen) in der öffentlichen Diskussion klarer herauszustellen.