Die vielbeachtete Studie von Streeck et al. (2020) ergibt eine Sterblichkeitsrate von 0,38% für COVID-19 auf Grundlage der Daten aus Heinsberg. Dieser niedrig erscheinende Wert wird nun vielerorts so interpretiert, dass die Einschränkungen des öffentlichen Lebens hinfällig, da übertrieben seien. Natürlich kann über die Notwendigkeit einzelner Maßnahmen diskutiert werden (auch wenn mir diese im Großen und Ganzen aufgrund des allgemeinen Vorsichtsprinzip grundsätzlich als sehr sinnvoll erscheinen). Die Interpretation der Sterblichkeitsrate verlangt aber m.E. dringend eine vorsichtigere Herangehensweise:
- Die Sterblichkeitsrate von 0,38% erscheint gering; in absoluten Zahlen ergäben sich aber beispielsweise mehr als 300.000 Tote für Deutschland. Insbesondere wenn diese in kurzer Zeit sterben würden, ist das eine durchaus merkliche Zahl von Opfern.
- Die ursprünglichen Annahmen bzgl. der Sterblichkeitsrate lagen — basierend auf den Daten aus China und Italien — bei 2-3% . Dass diese nun geringer auszufallen scheint, kann im Nachhinein den Entscheidern nicht als Fehler vorgeworfen werden; das wäre unlogisch und/oder unethisch.
- Die eben genannten Sterblichkeitsraten in China und Italien basierten teilweise auf einem Zusammenbruch der intensivmedizinischen Versorgung, die durch die Maßnahmen in Deutschland ja verhindert werden sollte und bis heute auch verhindert wurde; die relativ geringe Todesrate ist also wohl ein Erfolg der Maßnahmen und der medizinischen Betreuung, siehe Präventions-Paradox.
- Die Berechnung des Werts 0,38% basiert auf einer relativ kleinen Zahl Gestorbener (nämlich 7). Nur drei Tote mehr oder weniger (bei falschen oder fehlenden Daten) ändert diesen schon relativ stark auf 0,51% bzw. 0,20%.