Emotional innumeracy

In „The Perils of Perception“ (Atlanctic Books, 2018) erwähnt Booby Duffy auf S. 13 die emotional innumeracy, d.h. die gefühlsbedingte Unfähigkeit zu rechnen, die u.a. darauf begründet sei, dass Ursache und Wirkung zwischen zwei Phänomenen in beide Richtungen verliefen. Dies ist eine (selbstverstärkende) Rückkopplungsschleife der Fehlwahrnehmung, die schwierig zu durchbrechen sei.

Duffy beschreibt dann noch ein kurzes Beispiel für diese Rechenunfähigkeit: Wenn Leute das Kriminalitätslevel in ihrem Land überschätzen, kommt das daher, dass sie besorgt sind, oder sind sie besorgt, weil sie es überschätzen? Als Kausalitätendiagramm in etwa so:


Medien erschaffen Realität

Heribert Prantl schreibt in seiner „Gebrauchsanweisung für Populisten“ (Ecowin, 2017) auf S. 35: „Die Qualitätsmedien sollten nicht so tun, als seien die Angriffe auf Minderheiten Events, über die es wie über Sportereignisse und Popkonzerte zu berichten gilt.“ Er bezieht sich damit auf eine weitverbreitete uni-direktionale Auffassung davon, was Medien zu leisten hätten. Das folgende Kausaldiagramm drückt diese aus; je wichtiger der Sachverhalt, desto umfassender die Berichterstattung.

Was dabei ausgeblendet wird (und in Prantls Zitat aufscheint) ist, dass Berichterstattung in den Medien wieder auf die Wichtigkeit (die sich nie vollständig objektiv definieren lässt, sondern immer „Gefühlte Wichtigkeit“ ist) zurückwirkt. Es entsteht also eine selbstverstärkende Rückkopplungsschleife:

Natürlich setzen auch auch hierbei irgendwann begrenzende Prozesse ein (sonst würde sich die Hysterie über ein Ereignis ja ins Unendliche steigern), vielleicht auch nur dadurch, dass die mediale Aufmerksamkeit sich auf ein anderes Ereignis verschiebt.

 

Verschörungstheorien und Minderheiten

In dem unterhaltsamen Buch „Angela Merkel ist Hitlers Tochter“ (Hanser, 2018) beschäftigen sich Christian Alt und Christian Schiffer mit Gründen, Merkmalen und Konsequenzen von Verschwörungstheorien, insbesondere mit Bezug zu sozialen Medien (nebenbei: die Autoren sagen auch klar, dass „Verschwörungsmythos“ eigentlich das bessere Wort sei, da die Konstrukte mit wissenschaftlichen Theorien natürlich nicht viel gemein haben).

Auf S. 191 erläutern Alt und Schiffer sehr knapp, das Verhältnis von Verschwörungstheorien und Minderheiten. Mit ein wenig Eigeninterpretation verstehe ich ihre Ausführungen als selbstverstärkende Rückkopplungsschleife:

Beispielsweise ausgehend von der Anzahl und Stärke von Verschwörungstheorien über eine Minderheit erhöht sich auch die wahrgenommene Minderwertigkeit dieser Minderheit (dabei wahrgenommen von ihr selbst und/oder von der Mehrheit). Dies wiederum führt dazu, dass Verschwörungstheorien (die gleichen wie von der Mehrheit oder andere) auch innerhalb der Minderheit weiter Akzeptanz finden und damit die Andersartigkeit der Minderheit betont wird, was schließlich zu einem weiteren Ansteigen der Stärke und Anzahl an Verschwörungstheorien über die Minderheit führt.

Gewinnzyklen in der Luftverkehrsindustrie

Eva Cronrath analysiert mittels einer System-Dynamics-Studie die Gründe und Einflussfaktoren für das Auftreten von Gewinnzyklen in der Luftverkehrsindustrie („The Airline Profit Cycle“, Routledge, 2018; Abbildung S. 286):

Basierend auf ihren Modellexperimenten identifiziert sie als hauptsächliche Gründe für das Aufreten der Zyklen (S. 287):

  • Änderungen im Wachstum der Weltwirtschaft,
  • Ölpreisänderungen und andere exogene Schocks,
  • Veränderte Sensitivität der Nachfrage gegenüber Preisen und
  • nicht korrekte Vorhersagen zur Auslieferung von neuen Flugzeugen,

also eine Mischung aus externen und internen (bzgl. der Luftverkehrsindustrie) Faktoren.

Die Höhe der Zyklen wird insbesondere bestimmt durch (S. 288f.):

  • die vermehrte Nutzung von Revenue Management,
  • einen hohen Anteil von Fixkosten,
  • die starke Ausweitung der Kapazitäten.

Für die Studie wurde der Autorin 2018 der Gert-von-Kortzfleisch-Preis für herausragende System-Dynamics-Arbeiten der Deutschen Gesellschaft für System Dynamics (DGSD) verliehen.

Klimaanlagen und Erderwärmung

Zusammenfassung eines Videos heute (5.9.2018) auf der Facebook-Seite des Economist (ein zugehöriger Artikel findet sich unter diesem Link):

The more the Earth warms, the more people will need cooling. But the more air-conditioners there are, the warmer the world will become„.

Es handelt sich natürlich um eine einfache, selbstverstärkende Rückkopplung:

Fügt man dazwischenliegende Variablen (Mediatoren) in das Kausalitätendiagramm ein, so wird der Sachverhalt noch etwas klarer. Unter anderem wird dann auch deutlich, dass es sich eigentlich um zwei, teilweise zusammenlaufende Rückkopplungsschleifen handelt. Zwar sind beide selbstverstärkend, aber doch mit unterschiedlichem Zeithorizont und unterschiedlicher geographischer Relevanz: der Pfad über den Klimawandel ist langfristig und global wirksam, der Pfad über die Abwäre kurzfristig und lokal von Auswirkung.

Das systemische Denken bietet zwei grundsätzliche „Lösungsmöglichkeiten“ an:

  1. Durchschneiden der Loops: für den langfristig wirkenden rechten Ast des Diagramms etwa dadurch, dass die Energieerzeugung für Klimaanlagen auf nachhaltige Quellen (ohne CO2-Emission) umgestellt wird.
  2. Grenzen des Wachstums-Mechanismus: kein selbstverstärkender Loop wächst ewig weiter; Grenzen könnten beispielsweise durch die verfügbare Gesamtenergiemenge oder durch Ressourcenbeschränkungen der benötigen Materialien auftreten. Leider auch dadurch, dass die durch den Klimawandel ausgelösten Probleme so gewaltig werden, dass die Menschheit nicht mehr in der Lage ist, Klimaanlagen zu bauen.

 

Puzzles, Probleme, Kuddelmuddel

Basierend auf früheren Überlegungen von Ackoff unterscheidet Michael Pidd in „Tools for Thinking“ (2. Auflage, Wiley, 2003, S. 58ff.)  zwischen Puzzles, Problemen und Kuddelmuddel.

Bei Puzzles können wir uns auf ihre Formulierung einigen und auch klar erkennen, wann eine Lösung akzeptabel (= richtig) ist. Die meisten Mathematikaufgaben in der Schule sind von diesem Typ. Auch bei Problemen ist ihre Formulierung unstrittig; allerdings gibt es nicht nur eine, unzweifelhaft korrekte Lösung für sie. Gründe hierfür sind soziale Interaktion, unterschiedliche Wertvorstellungen und Ungewissheit bzgl. der zukünftigen Entwicklung. Viele konkrete unternehmerische Fragestellungen (z. B. nach dem Ausbau von Produktionskapazitäten in Abhängigkeit von Absatzprognosen) sind von diesem Typ. Bei Kuddelmuddel oder Schlamassel (engl.: „messes“) ist dann auch die Formulierung zweifelhaft und diskussionswürdig: was ist jetzt eigentlich die problematische Situation, gibt es überhaupt eine solche, und wer leidet darunter bzw. profitiert von ihrer Lösung? Hier bewegen wir uns vollständig auf dem Feld des Diskurses: was der Fall ist und was dann diesen Fall „löst“, wird zwischen den Beteiligten ausgehandelt.

Für Puzzles können Simulationen (im Allgemeinen: numerische Verfahren) hilfreich sein, falls die mathematische Komplexität keine analytische Lösung zulässt. Probleme sind das klassische Kerngebiet von Modellen und Simulation, wenn berücksichtigt wird, dass Simulationsergebnisse in der Regel keine absoluten Wahrheiten liefern, sondern nur die im Modell steckenden Annahmen logisch konsistent „weiterspinnen“; die Modelle sind in diesem Fall Mikrowelten (engl.: „microworlds“) der abgebildeten Situation. Ihre Lösungsrelevanz muss aber immer diskutiert werden, da sie notwendigerweise Vereinfachungen der Realität darstellen. Beim Kuddelmuddel wird der Prozess (= die Modellierung) wichtiger als das Produkt (= das Simulationsmodell): partizipative Modellierungs- und Simulationsansätze dienen als Grundlage der Diskussion von Situation und eventueller Lösung. Group Model Building ist ein solcher Ansatz, bei dem die entwickelten Modelle Schnittstellenobjekte (engl.: „boundary objects“) für das Gespräch mit anderen Individuen darstellen.

Die Rüstungsspirale

Eine satirisch gemeinte Nachricht beim Postillon (24.4.2017) mit ernstem Hintergrund:

Hört sich witzig an, passiert aber genau so beim Wettrüsten und wird durch den Systemarchetypen „Escalation“ nach Peter Senge für zwei Agenten A und B gut beschrieben:

Verschlechtert sich die relative Position (Menge an Waffen, politische oder wirtschaftliche Macht etc.) von Land A gegenüber Land B, wird Land A aktiv (investiert, intrigiert o.ä.), was seine „Performanz“ erhöht und damit auch die relative Position gegenüber Land B. Dieses reagiert nun auf die Verschiebung durch eigene Aktivitäten, die auch zu höherer Performanz führen und dadurch die relative Position gegenüber A wieder stärken, wodurch sich A wieder genötigt sieht usw. usf.

Obwohl es sich um zwei balancierende Rückkopplungsschleifen handelt, schaukeln sich die Aktivitäten gegenseitig immer weiter auf (was balanciert wird, ist der relative Abstand zwischen den zwei Parteien). Als Lösungsmöglichkeiten schlägt Senge sehr abstrakt das Suchen nach „win-win“-Situationen vor oder das Durchschneiden der Schleifen durch „aggressive“ Friedensbemühungen.

Die Akkumulation von Wissen

Samuel Arbesman beschreibt in „The Half-Life of Facts“ (Current, 2012) die Dynamik des wissenschaftlichen Fortschritts als einfachen Akkumulationsprozess, der sich durch folgends Stock-Flow-Diagramm ausdrücken lässt:

Durch Forschung wird (in Abhängigkeit vom schon vorhandenen Wissen) neues Wissen generiert. Dabei, wie beim Abfluss vorhandenen Wissens durch Vergessen oder Veralten, spielt ein Zeitkoeffizient eine Rolle, der die Verdopplungszeit bzw. die Halbwertszeit des Wissens beschreibt. Natürlich sind diese Zeitkoeffizienten nicht wirklich konstant und auch nicht wirklich exogen bezüglich des Systems (wie im obigen einfachen Diagramm suggeriert), sondern ihrerseits von vielfältigen Einflüssen abhängig, z. B. der Anzahl an Forschern, Forschungsbudgets, Reputation von Forschung, Möglichkeiten der Archivierung und Kommunikation.

Gefahr der Linearisierung

Howard Wainer beschreibt in seinem Buch „Picturing the Uncertain World“ (Princeton University Press, 2009) eindrucksvoll die Gefahr von Linearisierung eines nicht-linearen Sachverhalts. Auf S. 88 findet sich dazu folgende Graphik:

Sie zeigt, legt man eine weitere lineare Entwicklung zugrunde, dass die Bestzeiten der Frauen beim Boston-Marathon die der Männer übertreffen (d.h. Frauen schaffen den Marathon in kürzerer Zeit als Männer). Das ist physiologisch eher unwahrscheinlich und von den Daten auch nicht gedeckt, sondern der Eindruck entsteht durch das Einzeichnen einer linearen Inter-/Extrapolationsgeraden. Tatsächlich zeigen die Siegerzeiten asymptotisches Verhalten: die Siegerzeit bei den Männer nähert sich der Asymptote von etwa zwei Stunden; die Asymptote der Siegerzeit bei den Frauen befindet sich einige Minuten darüber (auch S. 88).