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Ende der Welt ab 2040?

Im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg fand die sehr gelungene Ausstellung „Hello Nature – Wie wollen wir zusammen leben?“ statt (03.10.2024 – 02.03.2025). Dabei geht es um die Geschichte der Mensch-Natur-Beziehung und es wird dargestellt, wie der Mensch aus historischer Perspektive die Natur genutzt, beeinflusst und verändert hat.

Am Anfang des Ausstellungsteils „Bedrohung“ werden in einer Laufschrift historische Prophezeiungen für den Weltuntergang angezeigt, die u.a. folgenden Eintrag beinhaltet:

Es wird also gesagt, dass das Massachussetts Institute of Techology (MIT) in den 1970er-Jahren das Ende der Welt für die Zeit ab 2040 vorausgesagt hat (was rein mathematisch gesehen mit großer Sicherheit stimmt). Es wird nicht ausdrücklich erwähnt, aber ich gehe davon aus, dass hier Bezug auf die Grenzen-des-Wachstums-Studie von Meadows u.a. genommen wird (1972). Das irritiert an der ansonsten hervorragenden Ausstellung dann aus zumindest drei Gründen doch (weiteres methodologisches Fehlverständnis habe ich bereits hier und hier besprochen):

Erstens (und auf den Bildern nicht ersichtlich) wird Limits-to-Growth hier in eine recht beliebige Reihe mit teils sehr esoterischen Untergangsprophezeiungen gestellt. Die verwendete Methodik der Studie und die in der Modellierung verwendeten Annahmen sind aber transparent und dadurch kritisierbar (was ja auch in großem Umfang stattgefunden hat). Es handelt sich also bei Limits-to-Growth um eine wissenschaftliche Herangehensweise, im Gegensatz zu rein subjektiven Empfindungen von Untergangspropheten.

Zweitens werden in der Studie nicht Prognosen, sondern Szenarien widergegeben: bei gegebenen Annahmen werden sich die untersuchten Zielgroßen (z.B. Bevölkerung, Ressourcenverfügbarkeit oder wirtschaftliche Situation) über die Zeit in einer bestimmten Weise entwickeln. Dabei werden insgesamt zwölf solcher Szenarien diskutiert und nicht alle können als katastrophal interpretiert werden.

Und drittens, geht es bei den Grenzen-des-Wachstums natürlich nicht um den Untergang der Welt, sondern wie und in welcher Weise menschliche Zivilisation möglich sein wird. Wenn die Szenarien der Studie also mit dem astronomisch berechneten Ende unseres Sonnensystems verglichen werden (das noch mehrere Milliarden Jahre bestehen wird), ist das irreführend.

Im online Open-Access verfügbaren Katalog zur Ausstellung findet sich die Lichtinstallation im Übrigen nicht. Hier wird auf S. 264 korrekt und fundiert der Bezug zur Limits-to-Growth-Studie hergestellt.

Interpretationshilfen für eine 50 Jahre alte Studie

Anschließend an meinen letzten Beitrag zur Rezeption der Limits-to-Growth-Studie (1972) in einem populären Podcast, hier nochmals eine Zusammenstellung der aus meiner Sicht wichtigsten Interpretationshilfen. Wenn man es genau betrachtet, sind diese auch nicht eigentlich nur auf die Limits-to-Growth-Studie beschränkt, sondern sind in dieser oder ähnlicher Form bei vielen Studien mit Modellierungs- und Simulationshintergrund hilfreich. Es geht mir daher im Folgenden gar nicht in erster Linie um eine inhaltliche Detail-Diskussion der Annahmen und Ergebnisse der Studie, sondern um deren besseres Verständnis aus methodologischer Sicht.

Hier meine Top-8 der wichtigsten Interpretationshilfen:

  1. Insgesamt werden 12 Szenarien behandelt und nicht alle sind katastrophal: das tolle an der Szenarioanalyse ist ja gerade, dass man Bedingungen für unterschiedliche Ergebnisse identifizieren kann — es endet also nicht immer katastrophal und die Simulationen geben Hinweise darauf, wie „gute“ Zukünfte zu erreichen sind.
  2. Zeithorizont der Szenarien ist 2100; eklatante Folgen zeigen sich oft erst ab 2030: es handelt sich um sehr langfristige Szenarien, in denen oft die wichtigsten Folgen heute (2022) noch gar nicht eingetreten sind und die daher auf dieser Basis auch nicht als „falsch“ eingestuft werden können.
  3. Die Dynamik in den Simulationen entsteht endogen; es sind keine Entwicklungen vorgegebenen: in den Simulationsmodellen stecken natürlich Annahmen über Zusammenhänge zwischen Variablen, aber nicht das Resultat wenn sich diese Variablen über längere Zeiträume fortentwickeln.
  4. Einfache, fast schon triviale Struktur der grundsätzlichen Dynamik: die Grundstruktur entspricht dem Systemarchetypen Limits-to-Growth, der letztlich nur aus zwei Rückkopplungsschleifen besteht (die Realität ist natürlich viel komplexer, aber zum Grundverständnis reicht der Archetyp).
  5. Präzision vs. Akkuratheit: einerseits ist ein präziseres Modell (= mit höherer Auflösungsschärfe) nicht notwendiger Weise akkurater (d.h. reflektiert die Realität besser); andererseits zwingen präzise Angaben im Modell aber zur kritischen Reflexion bzgl. des vorhandenen Wissens.
  6. Mikro- vs. Makromodellierung: langfristige Makromodelle („Weltmodelle“) sind oft robuster als kurzfristige Mikromodelle, weswegen eine langfristige globale Klimaprognose genauer sein kann als eine mehrtägige Wetterprognose einer bestimmten Region.
  7. Quantitative Szenarien waren das Ziel der Limits-to-Growth-Studie, nicht die genaue Vorhersage zu erwartender Entwicklung: das ist ja die Quintessenz der Szenariotechnik — aufgrund von Unsicherheit sind Prognosen immer falsch und trotzdem können wir, richtig verstanden, etwas von ihnen lernen.
  8. Kassandra-Paradox: Verhaltensänderung führen zu Abweichung des beobachteten vom simulierten Systemverhalten in den Szenarien; also gerade dadurch, dass wir die Katastrophe verhindern, bewirken wir, dass die entsprechenden Szenarien „falsch“ werden.

Diese Punkte habe ich auch in ähnlicher Form auf der Jahrestagung der Vereinigung für Ökologische Ökonomie am 21.10.2022 in Stuttgart zur Diskussion gestellt.

Größler beim VÖÖ-Vortrag

Fehlinterpretationen der Limits-to-Growth-Studie

In ihrem 59. Podcast vom 14.10.2022 sprechen Lanz und Precht über die Studie zu den Grenzen des Wachstums von 1972 (auch „Club-of-Rome-Studie“ genannt). Die Kernaussage des Berichts haben sie dabei wohl verstanden (31:33), nämlich dass unendliches Wachstum nicht auf endlichen Ressourcen basieren kann. Viele ihrer Anmerkungen zeigen jedoch, dass sie die Methode Modellierung/Simulation zum Erkenntnisgewinn nicht wirklich begreifen oder es sich im Gespräch ein wenig zu einfach machen (und ja, natürlich darf jede Forschungsmethode kritisiert werden). Nachfolgend eine Auswahl von kritisch zu sehenden Bemerkungen aus dem Podcast (hier nur paraphrasiert):

08:33 „in ein paar Jahrzehnten gibt es keinen Tropfen Öl mehr“: Öl ist keine Variable im Modell

09:12 „man hat den Status-Quo einfach in die Zukunft fortgeschrieben“: nein, auf aggregierten Niveau findet sich schon technischer Fortschritt im Modell; außerdem werden Zeitreihen nicht extrapoliert, sondern das Systemverhalten ergibt sich aus dem dynamischen Zusammenspiel von kausal verbundenen Variablen

11:47 „wenn die Vorhersagen eingetroffen wären“: bzgl. der Szenarien mit negativen Folgen zeigen sich diese in der Simulaton i.d.R. erst in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts, wir wissen jetzt also noch gar nicht schlussendlich, ob sie eintreten werden

12:50 „spätestens um 2100 sei eine Katastrophe unvermeidbar“: nein, diese ergibt sich ja gerade nicht in allen Szenarien, wenn menschliches Handeln die Ressourcenbeschränktheit berücksichtigt

07:45 „man könne die Zukunft mathematisch berechnen“ & 15:32 „Vorsicht vor mathematischen Prognosen“: über die Zukunft wird immer nachgedacht und Schätzungen darüber, wie sie wohl wird, fließen in alle Entscheidungsprozesse ein; wenn dies mathematisch geschieht, lässt es sich zumindest inter-subjektiv überprüfen; intuitive Schätzungen bleiben dagegen oft intransparent und unpräzise

14:26 „Bevölkerungswachstum einfach nach oben gerechnet“: eben nicht, Bevölkerung ist eine Variable im Modell, die in vielfältiger Weise von anderen Modellvariablen abhängt, z.B. auch von der wirtschaftlichen Lage

PS: Wie man differenzierter auch in populärwissenschaftlichen Medien mit der Limits-to-Growth-Studie umgeht, zeigt beispielsweise Ulrike Hermann in „Das Ende des Kapitalismus“ (2022), insbesondere S. 187ff. Durchaus kritisch zeigt sie Schwächen auf, hat aber offensichtlich grundsätzlich verstanden, worum es den Autoren damals ging (nämlich eben nicht um eine Punktvorhersage).