Schlagwort-Archive: exponentielles wachstum

Schwierigkeiten beim Einschätzen dynamischer Entwicklungen

Dass dynamische Phänomene schwierig zu verstehen und einzuschätzen sind, hat die psychologische, soziologische und systemdynamische Forschung vielfältig gezeigt. Insbesondere über die Fehlerhaftigkeit mit der wir exponentielle Prozesse interpretieren, wurde auch im Rahmen der Covid-Krise bereits vielfältig diskutiert.

Trotz Beratung ist auch die Politik davor nicht gefeit. In der Talkshow von Markus Lanz am 07.01.2021 hat der Thüringer Ministerpräsident Bodo Ramelow das in bemerkenswerter Offenheit geschildert. Hier ein Transkript einiger seiner Aussagen:

„Ich habe mich von Hoffnungen leiten lassen, die sich jetzt als bitterer Fehler zeigen. […] Die Zahlen, Daten und Fakten hatten wir alle vorliegen. Es ist ein menschlicher Versuch, dass man den leichteren Weg glaubt gehen zu können. […] Wir stehen in einer Situation, die wir uns im Sommer nicht haben vorstellen wollen — können, ja, aber wollen, nein. […] Die wissenschaftliche Beratung hat uns die Entwicklungsgraphen gezeigt. […] Ich werde von der Dynamik überrascht. Weil diese Dynamik war nach den Erfahrungswerten, die wir hatten, nicht für uns abbildbar. […]“

Markus Lanz, Bodo Ramelow, 7.1.2021

„Slow Change Is Not No Change“

Trifft natürlich nicht nur für diesen Blog zu 😉

In seinem Buch „Factfulness“ (Flatiron Books, 2018) beschreibt Hans Rosling ab S. 179, dass langsamer Wandel eben nicht keinen Wandel bedeutet–letztendlich und auf längere Sicht können die Auswirkungen enorm sein. Dies wird sehr deutlich bei exponentiellen Wachstumsprozessen (Stichwort: Zinseszins), wie sie mit einer einfachen selbstverstärkenden Rückkopplung erzeugt werden können, siehe folgendes Stock-Flow-Diagramm:

Simuliert man das zugrundeliegende Modell mit einem Anfangsbestand von 1 im Stock, einer Wachstumsrate von 1% pro Monat über 120 Monate (10 Jahre), scheint sich (insbesondere in der graphischen Ansicht) nicht viel zu tun:

Der Bestand wächst von 1 auf ca. 3,3. Wie Rosling schreibt, verdoppelt sich der Ausgangswert nach etwa 70 Monaten.  Verlängert sich der Simulationszeitraum auf 480 Monate (40 Jahre) kommen die Auswirkungen des selbstverstärkenden Prozesses allerdings deutlich zu Geltung:

Der Bestand wächst in diesem Fall von anfänglich 1 auf mehr als 121.